Urbane Praxis als zukunftsweisender Ansatz
Urbane Praxis will Neues erproben, oftmals an wenig bekannten oder vergessenen Orten. Urbane Praxis baut neue Partnerschaften auf und etabliert somit besondere Orte, Anlagen und Situationen, die als Handlungsknoten für die Stadtgesellschaft eingesetzt werden.
Seit zwei Jahren arbeiten Mitglieder des Rats für die Künste zum Thema Urbane Praxis. In der ganzen Stadt gibt es eine Reihe von divers agierenden Personen und Projekten, die nicht unter die gängigen Kunst-Genres gefasst werden können. In ihren innovativen Arbeitsweisen reagieren sie nicht nur auf große Herausforderungen unserer Zeit, sondern entwickeln pro-aktiv neue Perspektiven, beleben Orte, bauen Anlagen, ermöglichen Beziehungen – experimentieren mit Utopien für ein künftiges (Stadt-)Leben. Besonders ist hierbei, dass Künstler*innen, die sich der Urbanen Praxis verschreiben, durch ihre kooperative Vorgehensweise mit anderen Stadtbewohner*innen, Expert*innen u.v.m. trans-, bzw. non-disziplinär vorgehen.
Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Urbane Praxis wollen wir diese Art des Stadtmachens, die wir unterstützen und praktizieren weiter untersuchen, vorantreiben, bekannter machen und strukturell festigen. Dafür tauschen wir uns regelmäßig mit verschiedenen Kunstszenen und Akteur*innen aus, sprechen mit Politik und Verwaltung und machen konkrete Vorschläge http://www.rat-fuer-die-kuenste.de/stellungnahme-urbane-praxis/.
Was ist Urbane Praxis?
Urbane Praxis ist künstlerisches Handeln aller Sparten in Bezug auf Stadt. Das Handeln erfolgt in den Dimensionen des Sozialen und Räumlichen sowie der Bildung und der Erfindung möglicher Zukünfte durch gemeinsames Planen, Entwickeln und Umsetzen von Stadt. Urbane Praxis verbindet immer die Künste mit anderen Feldern, denn das Urbane ist das Vielfältige und Gemeinsame. Urbane Praxis überwindet disziplinäre Denkmuster und agiert explizit non-disziplinär. Sie integriert dabei künstlerische Strategien aus den traditionellen Sparten der Architektur, der bildenden Kunst, der darstellenden Künste, des Tanzes, der Literatur, des Films und vielen mehr, weil sie sich nicht für die Abgrenzung interessiert, sondern für die Potenziale der Verknüpfung!
Urbane Praxis schafft neue Öffentlichkeiten und damit neue Zugänge zum Stadtmachen insgesamt. Denn nur wer die eigene Handlungsmacht spüren kann, glaubt daran, dass wir die Zukunft gestalten können.
Diese Entwicklungen reflektieren Künstler*innen und Forscher*innen bereits vielfältig. Der Diskurs umfasst Ideen des „Urban Practitioners“ (Barbara Holub), der „Kunst als gemeinsamer Stadtgestaltung“ (Hilke Marit Berger) oder der „Improvisation als urbaner Praxis“ (Christopher Dell).
Wie sieht Urbane Praxis aus?
Oft entstehen in der wachsenden Stadt beim Aufbau neuer Nachbarschaften Fragen im Kontext Migration, Exil und Asyl. Berlin Mondiale schafft als stadtweites Netzwerk der Künste neue Räume für das Zusammentreffen von Menschen, die sich im Alltag selten auf Augenhöhe begegnen. In künstlerisch-kulturellen Projekten entsteht Gemeinschaft, die radikal divers ist und letztendlich das zeitgenössische Berlin abbildet. Die auf Teilhabe und Teilnahme, Empowerment und Austausch auf Augenhöhe fokussierte Praxis lebt im Kontext von Migration und Asyl auch von der temporären, punktuellen Beeinflussung und Entwicklung bestimmter Nachbarschaften.
Im Modellprojekt Haus der Statistik, in dem erstmals in Berlin Stadtentwicklung auf Pioniernutzungen aufbaut, agieren künstlerische Positionen als Initiator*innen und treibende Kraft für den künftigen Weg, den Gebäude und Nachbarschaft nehmen wollen. Andere Orte widmen sich den Herausforderungen von Heute ganz konkret. So z.B. die floating university, die das Antropozän/ den Klimanotstand thematisiert und an einem einmaligen Ort als Erlebbares anders machen („doing otherwise“) direkt zugänglich macht – auf der Ebene des Raums und der Architektur, mit Kunst, Schulklassen, Performer*innen, Universitäten und Nachbar*innen, vernetzt mit vielen Stadtteil- und berlinweiten Organisationen und Gruppen. Außerdem beispielhaft das Stadtwerk mrzn in Marzahn, experimentelle Baustelle und Zukunftslabor für Nachbarschaft und Arbeitsperspektiven zwischen Zentrum und Peripherie der Stadt.
Die Beispiele etablierter, verschwundener, neuer oder bisher nur gedachter Urbaner Praxis sind vielfältig fortsetzbar. Jeder Projektansatz verfolgt eine spezifische Art, Handlungsebenen von Stadt miteinander zu verbinden. Das lokale wird dabei oft mit dem Regionalen und dem Internationalen verwoben.
Wie geht es weiter mit der Urbanen Praxis?
Die Künste übernehmen in der Urbanen Praxis oft eine führende Rolle, stellen Fragen neu und anders, erkunden auf neuartige Weise den Kontext. Sie bringen verschiedene Sphären der Zivilgesellschaft zusammen. Urbane Praxis involviert sich so in städtische Prozesse. Persönliche Beziehungen werden geknüpft, Vertrauensverhältnisse aufgebaut. Orte der Urbanen Praxis verfügen über eine starke Vernetzung und sind in der Lage besondere Energien zu entfachen. Viele Projekte der Urbanen Praxis kämpfen mit dem Konflikt, der sich aus der darunterliegenden Förderlogik ergibt: während künstlerische Projektförderung singuläre Ereignisse ermöglicht, geht es in den Projekten der Urbanen Praxis oft um den Aufbau eines Ortes der eine mittel- bis langfristige Perspektive hat. Die wertvollen Nachbarschaftsverbindungen, die Netzwerke und Handlungsräume werden gestärkt, wenn die Urbane Praxis nach der Initialfinanzierung weiteren Support findet.
Die AG Urbane Praxis setzt sich dafür ein, dass Berlin Strukturen schafft, die diese Lücke schließen.
Die AG Urbane Praxis:
Markus Bader (raumlabor/UdK), Eva Maria Hoerster (HZT), Sabine Kroner (Berlin Mondiale), Barbara Meyer, Anton Schünemann (beide S27 – Kunst und Bildung), Danilo Vetter (Stadtbibliothek Pankow)
Stand: 01.09.2020