Antworten Bündnis 90/DIE GRÜNEN auf die Wahlprüfsteine
26.8.2016
1. Berlins Kulturpolitik muss die Kulturproduktion stärken
Wie berücksichtigen Sie ressortübergreifend die Belange der Kultur in allen relevanten Planungen und Maßnahmen? Mit welchen Maßnahmen schaffen Sie im Berliner Förderdschungel Transparenz, Effizienz, Bürokratieabbau und Vereinheitlichung der Maßnahmen?
Antwort Grüne:
Kultur und deren öffentliche Förderung ist ein Schlüsselfaktor für die Entwicklung Berlins als Metropole und Hauptstadt. Kultur ist für die wirtschaftliche Entwicklung unserer Stadt von hoher Bedeutung, zahlreiche wissenschaftliche Studien beweisen einen empirischen Zusammenhang zwischen Kulturförderung und Wirtschaftswachstum.
Ein Zuwachs der Mittel für die künstlerische Arbeit, insbesondere für die Freie Szene ist längst überfällig, da der stetig wachsenden Zahl an professionellen Akteur*innen nur ein Förderanteil von fünf Prozent der gesamten Kulturförderung zu Verfügung steht. Dieses Ungleichgewicht steht in keinem Verhältnis zu der Qualität und Quantität, die von den Akteur*innen der Freien Szene hervorgebracht wird. Sie tragen mit ihren Produktionen zum internationalen Renommee Berlins bei, bereichern die Lebensqualität der Berlinerinnen und Berliner und machen die Stadt durch die vielfältigen Angebote von Festivals über Programmarbeit in den Kiezen bis zur nächtlichen Club- und Konzertszene international attraktiv.
Auch die institutionell geförderten Kultureinrichtungen haben ihr Aufgabenspektrum längst erweitert, entwickeln neue Formate, sind aktiv in der Kulturvermittlung und generieren neues Publikum.
Da der Förderanteil für ihre Programmarbeit aber seit Jahren aufgrund steigender Betriebskosten schrumpft und zudem keine klaren Zielvereinbarungen mit einzelnen Häusern erfolgen, sind die Spielräume stark begrenzt.
Die jüngsten kulturpolitischen Initiativen der Kulturverwaltung, gestützt durch den Kultursenator und Regierenden Bürgermeister, lassen erahnen, dass für die vielfältige Berliner Kultur die Gefahr droht, allein unter Verwertungsaspekten auf reine Markttauglichkeit ausgerichtet zu werden (z.B. call for ideas zur Digitalisierung, Stiftungsmodelle zur Vermarktung der Freien Szene, Position zur Zukunft der Bibliotheken und zu Verbreitungswegen von Kulturgütern). Dieser Tendenz stellen wir uns entgegen, denn Kultur hat über die reine Vermarktung hinaus eine zentrale gesellschaftspolitische Bedeutung: Sie ist Grundbedürfnis des Menschen und Ausdruck von Humanität; kulturelle Teilhabe ist ein Grundrecht und der Zugang zu Kultur muss für alle Berliner*innen möglich sein.
Kunst und Kultur schaffen einen identitätsbildenden Zusammenhalt sowie Raum für Reflexion und kritische Wahrnehmung gesellschaftlicher und politischer Phänomene, gerade in einer immer stärker diversifizierten Stadtgesellschaft.
Nicht alle bestehenden Förderinstrumente, die vor weit mehr als 20 Jahren etabliert wurden, entsprechen heute noch den aktuellen Erfordernissen. Wiederum sind einzelne Kunstsparten, wie die Literatur oder der Tanz, in der Gesamtförderung prozentual völlig unterrepräsentiert.
Die Berliner Kulturschaffenden haben mit zahlreichen Initiativen, u.a. von der Koalition der Freien Szene und dem Rat für die Künste, eine umfangreiche Agenda darüber vorgelegt, wo aus ihrer Sicht strukturelle Verbesserungen in der Kulturpolitik und Kulturförderung vonnöten sind.
Wir Grüne unterstützen diese Ansätze und haben den Reformbedarf der Kulturförderung in einer mehrteiligen Gesprächsreihe mit rund 100 Kulturakteur*innen Berlins intensiv herausgefiltert und beraten.
Der Gesamtüberblick zur Werkstattreihe ist nachzulesen unter: http://www.gruene-fraktion-berlin.de/themen/k/kulturf-rderung
Hier finden Sie auch eine Darstellung der Ergebnisse aus den einzelnen Sparten Musik, Literatur, Darstellende Künste und Bildenden Künste, sowie zur EU-Förderung.
Die Auswertung und Zusammenfassung können Sie nachlesen in der Broschüre „Reform der Kulturförderung – Wege zu mehr Gerechtigkeit“: www.gruene-fraktion-berlin.de/sites/default/files/Brosch%C3%BCre-Kulturf%C3%B6rderung-WEBfinal.pdf
Denn es geht nicht allein ums Geld. Ziel muss sein, endlich den gesellschaftlichen Diskurs zu führen, was wir mit und von Kultur in dieser Stadt wollen: d.h. wer beteiligt ist an den Produktionsprozessen, wer als Publikum erreicht wird, wo sich Netzwerke und Kooperationen unter den Akteur*innen bilden können, wie wir kulturelle Vielfalt unterstützen und Kulturvermittlung auf allen Ebenen ausbauen, wo und wie wir kulturelle Orte und geistige Freiräume schützen wollen und wo sich produktive Schnittstellen zu weiteren Politikfeldern wie Bildung, Integration, Stadtentwicklung, Wissenschaft und Wirtschaft ergeben.
Daher unterstützen wir Grüne die vom Rat für die Künste erstellten Forderungen, wie sie für die einzelnen Handlungsfelder im Rahmen der Wahlprüfsteine erhoben werden.
Wichtige Schritte zur Reform der Kulturförderung sind für uns Grüne:
1) ERARBEITUNG EINES KONZEPTS FÜR DIE KULTURENTWICKLUNG
Die Verteilung öffentlicher Fördermittel muss mit Zielsetzungen verbunden sein, die aktuellen künstlerischen Diskursen gerecht werden, die Teilhabe an Kultur für alle Berlinerinnen und Berliner beinhalten und die Veränderungen in einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft berücksichtigen. Berlin braucht ein abgestimmtes Konzept im Sinne einer Kulturentwicklungsplanung, um Kulturpolitik stärker in das Zusammenspiel mit anderen Politikbereichen zu bringen: mit Stadtentwicklung, Liegenschaftspolitik, Bildung, Wissenschaft, Forschung, Integration und Wirtschaft.
Unsere Stadt ist voller Ideen; die Berliner Akteur*innen aus Politik und Kultur müssen sich endlich gemeinsam über den generellen Weg verständigen. Gebraucht wird ein Dialog, der die Künste insgesamt in der Gesellschaft stärkt. Dazu gehört auch eine Analyse der derzeitigen Strukturen und eine kulturpolitische Vision, die mit konkreten Maßnahmen unterfüttert ist. Ein wirklich interdisziplinäres Gespräch über Reformen bietet die Möglichkeit, jenseits von Partikularinteressen Berlin als lebenswerte Kulturmetropole in ihrer Gesamtheit zu denken.
2) PRÄZISIERUNG DER KÜNSTLERISCHEN AUFTRÄGE UND ZIELVEREINBARUNGEN
Zielvereinbarungen, die mit den Kultureinrichtungen und Gruppen verabredet werden, machen nachvollziehbar, wofür die einzelnen Häuser stehen und durch welche Förderinstrumente sie zu den politisch und selbst gesetzten Zielen gelangen, z.B. Umsetzung der programmatischen Ausrichtung, Bereitschaft zu Uraufführungen, Beteiligung an Kooperationsstrukturen, Diversity Management, Zusammenarbeit mit Nachwuchskünstler*innen, Förderung von Vermittlungsangeboten oder Jugendprojekten, aber auch erfolgreiche Drittmittelakquise.
Bei Zielvereinbarungen geht es um einen gemeinsamen Aushandlungsprozess zwischen Politik und Kultureinrichtungen. Es geht nicht nur um Auflagen für die Kultureinrichtungen, es geht auch um Auflagen gegenüber der Politik und deren Verantwortung zur Zielerfüllung. Die Künstler*innen sind verantwortlich, ihren individuellen Auftrag für sich zu definieren. Dieser Auftrag muss gegenüber den politisch Verantwortlichen kommuniziert werden, er muss aber auch Spielraum für künstlerische Freiheit lassen.
Evaluation schafft Klarheit über das Zusammenspiel von künstlerischem Angebot und Publikumsnachfrage; Ziele werden reflektiert und Grundlagen für eine Förderargumentation geliefert. Folgerichtig müssen aus den Evaluationsergebnissen Konsequenzen folgen, ggf. auch Etataufstockungen.
3) STÄRKUNG DER KOOPERATION ZWISCHEN FREIER SZENE UND INSTITUTIONEN
Kooperation hat einen künstlerischen Mehrwert: Produktionen werden öfter gezeigt, an anderen Orten und an unterschiedlichen Häusern. Oft erwächst daraus etwas Neues, Innovatives. Kooperationen ermöglichen das Teilen der Ressourcen und eine gemeinsame künstlerische Arbeit verschiedener Partner*innen. Koproduktion zwischen institutionell geförderten Häusern mit Akteuren der freien Szene braucht eine angemessene finanzielle Unterstützung, die sie zu Partner*innen auf Augenhöhe macht.
Sinnvoll ist eine Stärkung von Ankerinstitutionen, an welche die Freie Szene temporär oder längerfristig projektbezogen andocken kann. Denkbar ist auch ein Anreizsystem, das Kooperationen wertschätzt und anerkennt und nicht etwa durch Mittelreduzierung bestraft.
4) AUSBAU DES FÖRDERVOLUMENS UND BESTEHENDER FÖRDERSTRUKTUREN
Die klassischen Sparten von Musik, Theater, Tanz, Bildender Kunst und Literatur werden in den künstlerischen Prozessen längst zusammengedacht. Nun muss auch die Förderpolitik die Schranken dieser Genregrenzen überwinden und sich stärker inter- und transdisziplinär ausrichten. Eine zweigleisige Förderung der künstlerischen Arbeitsformen, d.h. eine Förderung der freien Künstler*innen und Gruppen und eine Förderung in festen Strukturen muss die Grundlage Berliner Kulturpolitik sein. Beides trägt komplementär zum künstlerischen Profil der Stadt bei.
Das kreative Potenzial Berlins wächst durch die hier lebenden Künstler*innen und Kulturschaffenden stetig in seiner Bandbreite, Qualität und Professionalität. Die Förderinstrumente und insbesondere das derzeit zur Verfügung gestellte Fördervolumen werden den daraus resultierenden Fördernotwendigkeiten lange nicht mehr gerecht. Um alle zu fördern, die die qualitativen Kriterien erfüllen, müsste das Geld verdoppelt werden.
Der Etat der institutionell geförderten Häuser beinhaltet zu wenig Programmmittel für freie Projekte. Die Landesmittel werden für Personal und zur Deckung der Kosten von Neuproduktionen gebraucht. Zusätzliche Spielräume bestehen nicht. Hier gilt es nachzujustieren und finanzielle Mittel, z.B. für Kooperationen mit Akteuren aus der Freien Szene, zur Verfügung zu stellen. Die Fördersäulen für die Freie Szene müssen insgesamt mit ihren vielen Fördermodulen und Fonds klarer gestaltet werden. Sofern Fördertöpfe zusammengefasst werden, muss jedoch ein erkennbarer Mehrwert für die geförderten Projekte und Ensembles entstehen.
Positiv sind die neuen Wiederaufnahme- und Eigenmittelfonds. Aber diese Fonds sind mit zu wenig Geld ausgestattet. Problematisch bleibt die prekäre Grundfinanzierung der Kulturschaffenden, die es oft schwer macht oder auch verhindert, Mittel aus diesen Fonds überhaupt akquirieren zu können.
Um künstlerische Entwicklung zu befördern, muss eine Durchlässigkeit von einem Förderinstrument zum nächsten möglich sein (z.B. von der Einstiegsförderung über die Basisförderung bis hin zur Konzeptförderung). Insgesamt müssen die Kommunikation und das Timing zu den Übergängen zwischen den einzelnen Förderinstrumenten besser strukturiert sein. Hierbei gilt es, auch ein ausgewogenes Verhältnis von Nachwuchsförderung, über midlife career bis zu Leuchtturmspitzen, zu berücksichtigen.
Regelungen zu Honoraruntergrenzen, zum Mindestlohn, zu angemessenen Tarifen, fairen Werkverträgen und Praktika-Vergütungen müssen auch im Kulturbereich umgesetzt werden. Die Freie Szene ist hoch professionell organisiert. Die freien Kulturschaffenden sind Arbeitgeber*innen, kleine Institutionen, die eine an Institutionen gemessene Förderung verdienen. Prekariat und Altersarmut dürfen nicht als Selbstverständlichkeit für Künstler*innen gelten. Die existierenden verfehlten sozialen Rahmenbedingungen müssen dringend geändert werden.
5) NUTZUNG DER CITY TAX AUCH FÜR KULTUR
Die Rolle der Kultur als Motor für touristische Anziehung ist hinlänglich bewiesen. Die Mittel aus der City-Tax wollen wir daher auch für Kulturförderung nutzen. Angesichts der enormen Bedeutung der Kultur für unsere Stadt muss dieser Bereich aber ganz grundsätzlich von den steigenden Steuereinnahmen profitieren. Die City Tax ist Anlass darüber nachzudenken, wie Berlin von außen wahrgenommen wird und welche Bedeutung Kultur für das Ansehen und die Entwicklung unserer Stadt hat. Das Zusammendenken von Kultur, Sport und Tourismus im Verbund ist sinnvoll, weil diese drei Bereiche eine enorme Außenwirkung haben und zur Attraktivität Berlins in hohem Maße beitragen.
Festivals sind per Definition Magnet für reisende Kulturinteressierte und Impulsgeber für alle Beteiligten, ob Künstler*innen oder Publikum. Daher schlagen wir vor, die Projektfonds von der Festivalfinanzierung zu entlasten und einen eigenen Festivalfonds, z.B. gespeist aus Einnahmen der City Tax, gepaart mit einer Kofinanzierung aus Bundesmitteln, zu etablieren. Diese Entlastung würde größere Spielräume zugunsten künstlerischer Projekte aus dem Bereich der Freien Szene oder für neue Kooperationsmodelle eröffnen.
6) KOORDINIERUNG DER KULTURFÖRDERUNG ZWISCHEN BUND UND BERLIN
Berlin ist Deutschlands Hauptstadt, und die Kultur hat hier eine besondere Bedeutung: als Impulsgeberin, als Aushängeschild und zur Wahrung historischer Verantwortung. Ein gut koordiniertes Zusammenspiel zwischen dem Land Berlin und dem Bund in der Kulturförderung ist Voraussetzung, um die jeweiligen Fördermittel sinnvoll zu nutzen und Verantwortungen seitens des Bundes wie des Landes für Kultureinrichtungen und Kulturangebote richtig zu zuordnen und Doppelstrukturen zu vermeiden.
Berlins kulturelle Ressourcen und das eigene Förderengagement ermöglichen ein selbstbewusstes Auftreten in den Verhandlungen mit dem Bund über eine künftige Hauptstadtfinanzierung. Ziel muss sein, ab 2018 den Hauptstadtkulturfonds von den Regelförderungen in Höhe von 2,25 Millionen Euro zu entlasten, einen zusätzlichen Festivalfonds zu schaffen und die Literaturförderung in neuen Strukturen zu ermöglichen.
Die programmatische Ausrichtung des Humboldtforums braucht ein zwischen Bund und Berlin abgestimmtes Konzept sowie Klarheit über einen Programm- und Betriebskostenetat. Die Gedenkstättenpolitik muss aufgrund steigender Besucher*innenzahlen zwischen Bund und Berlin überarbeitet und insbesondere das pädagogische Angebot den aktuellen Nachfragen angepasst werden.
7) STÄRKUNG DER INFRASTRUKTUR – RÄUME FÜR KULTUR SCHAFFEN
Raum- und Wohnungsknappheit ist eines der größten sozialen Probleme in Berlin. Steigende Mieten führen zu Verdrängungsprozessen, auch für Galerien und Produktionsstätten. Zur Sicherung der Infrastruktur – auch für die Institutionen – muss Berlin jetzt zügig handeln und neue Instrumente nutzen.
Kunst und Kultur brauchen Raum in Berlin. Zahlreiche Theater, Galerien, Proberäume und Clubs mussten schon schließen, weil andere Nutzungen mehr Profit bringen. Wir wollen die Vielfalt der Kultur in Berlin erhalten und dazu gehört für uns auch die Vielfalt der kulturellen Orte. Wir setzen uns dafür ein, solche Flächen städtebaulich zu sichern, um sie für Kulturschaffende zu erhalten. Das Land Berlin muss Grundstücke zur kulturellen Nutzung wieder ankaufen, die Vergabe in Erbbaupacht stärken und vermehrt Genossenschaftsmodelle ermöglichen. Statt Leerstand sollen öffentliche und private Flächen und Räume übergangsweise für Kulturprojekte zur Verfügung gestellt werden.
Wir werden uns für eine Zwischennutzungsagentur oder andere geeignete Modelle einsetzen, die Künstlerinnen und Künstlern Räume zeitlich begrenzt vermittelt. Ein relevanter Anteil aus dem Portfolio des Liegenschaftsfonds muss grundsätzlich für Kultur vorgehalten werden, was durch die Erstellung eines öffentlich zugänglichen Kulturkatasters vereinfacht würde.
Anders als die großen Theater erhalten Gruppen der Freien Szene bisher keine Investitionszuschüsse, um ihre Räume auszubauen oder zu sanieren. Wir schlagen deshalb einen Investitionsfonds mit jährlich zehn Millionen Euro vor. Neben der Finanzierung von Sanierungsmaßnahmen sollen temporäre Mietkostenzuschüsse sowie Zuschüsse für den Erwerb von Immobilien möglich sein.
8) NUTZUNG DER FÖRDERMITTEL DER EUROPÄISCHEN UNION FÜR BERLIN
Die europäischen Strukturfonds EFRE und ESF sind einer der wichtigsten und am höchsten dotierten Bereiche in der EU, die aufgrund mangelnder Ressourcen von Berliner Kulturakteuren nicht ausreichend genutzt werden können. Derzeit fließen Gelder nur dahin, wo Sicherheiten sind, experimentelle Formate in instabilen Strukturen haben es dagegen sehr schwer. Dringend erforderlich ist auch der Support potenzieller Projektträger aus dem Kulturbereich durch eine unabhängige Beratungsstelle bei Antragsstellung und Projektumsetzung, auch mit Coachings oder Mentorings, um neben den Strukturfondsmitteln auch weitere Fördergelder aus der europäischen Union nutzen zu können.
Es besteht ein Missverhältnis zwischen den Berliner Vorgaben zur Kofinanzierung und den Mitteln und Möglichkeiten, die den Akteuren über den Berliner Landeshaushalt überhaupt gegeben sind. Berlin muss hier mehr Mittel zur Kofinanzierung bereitstellen, da die bisherigen Instrumente nicht ausreichen.
Während andere Städte und Regionen massiv auf das Einwerben von EU-Fördermitteln setzen, besteht in Berlin für einen aktiven kulturpolitischen Einsatz von EU-Mitteln bisher keine Vision. Dabei könnte der europäische Gedanke als Teil internationaler Projektarbeit viel mehr in der Kulturverwaltung verankert sein.
2. Kulturpolitik muss auch Stadtentwicklungspolitik heißen.
Welche Zeitschiene sehen Sie für ein stadtentwicklungspolitisches Handlungskonzept, welche Beteiligten und welches Verfahren? Wie wollen Sie die bezirkliche Kulturarbeit in die Lage versetzen, sich am Prozess der Stadtentwicklung zu beteiligen?
Antwort Grüne:
Berlin wird seine Anziehungs- und Ausstrahlungskraft nur dann aufrechterhalten, wenn den Kulturschaffenden und Kreativen auch in Zukunft ausreichend Raum zu günstigen Konditionen und in geeignetem Umfeld zur Verfügung steht.
Siehe dazu Punkt 7) STÄRKUNG DER INFRASTRUKTUR – RÄUME FÜR KULTUR SCHAFFEN“ in der vorherigen Antwort.
Wir unterstützen die Forderungen der AG Räume der Koalition der freien Szene und haben auch in den vergangenen Haushaltsberatungen entsprechende Änderungsanträge zu Gunsten einer Verschiebung der Mittel hin zu mehr Ausgaben im konsumtiven Bereich eingebracht. SPD und CDU haben dies nicht gewollt. Hier gilt es, die vorgesehenen Mittel zukünftig neu zu justieren, und in enger Abstimmung mit dem AK Räume zielführende Vergabemaßnahmen zu etablieren.
Wir wollen einen Rat für die Räume als Beratungsgremium einrichten. Dieses Gremium soll sich aus Vertreter*innen der Stadtgesellschaft zusammensetzen und über alle Vorgänge, die dem Portfolioausschuss zur Beratung vorgelegt werden, mitentscheiden können. Darüber hinaus gilt es, durch eine kluge Vermittlungspolitik Immobilieneingentümer*innen von dem Mehrwert einer künstlerischen Produktionsstätte für das gesellschaftliche Umfeld zu überzeugen. In den Quartieren selbst, wo es um Leerstellenmanagement geht, sollte eine bestimmte Anzahl von Räumen kostenlos oder kostengünstig der Kultur zur Verfügung gestellt werden.
Neue räumliche und damit stadtentwicklungspolitische Potenziale bietet auch der von uns Grünen angestrebte Ausbau des ehemaligen Flughafen Tempelhofs als Kulturhafen. Derzeit steht hier einer der interessantesten Orte Berlins zu einem großen Teil leer und ist für die Öffentlichkeit verschlossen. Dabei birgt das Gebäude mit seinem räumlichen Potenzial von 300.000 m² Gesamtfläche ein einmaliges Beispiel für ein abgestimmtes Nutzungskonzept zwischen Kulturpolitik, Stadtentwicklung und Kreativwirtschaft, von dem die Kulturschaffenden in hohem Maße profitieren können. In einem Kulturhafen Tempelhof sollen Proberäume, Studios und Künstlerateliers genau so Platz finden wie Film- und TV-Produktionsfirmen, Startups oder Forschungseinrichtungen aus dem Kreativbereich.
Die ausführliche Position der Grünen zu den „Strukturelle Anforderungen zur Sicherung von Räumen für Kulturproduktion in Berlin“ finden Sie unter: www.gruene-fraktion-berlin.de/sites/default/files/Positionspapier_Freir%C3%A4ume_2.pdf
3. Kulturpolitik muss gesellschaftliche Teilhabe stärken.
Welche Strategien haben Sie, um Berlins Diversität auch bei Publikum, Programm und Personal von Kulturinstitutionen angemessen abzubilden?
Antwort Grüne:
Die Verschiedenheit von Menschen betrachten wir als Normalität und Chance für Berlin. Unser Ziel ist eine inklusive Stadtgesellschaft, die der Vielfalt der Berliner*innen Rechnung trägt und allen Menschen gleiche Chancen und Teilhabe ermöglicht. Das ist eine Frage einer vorurteilsbewussten Haltung und der Ressourcen.
Wir wollen die Vielfalt der Kulturen stärken und sichtbar machen. Durch seine Internationalität und Einwanderungsgeschichte entwickelt Berlin eine Form des kulturellen Zusammenlebens, die einmalig in Deutschland ist. Es ist absolut erstrebenswert, dass sich die Diversität und der beständig steigende Migrationsanteil von derzeit fast 30 Prozent in der künstlerischen Produktion und Ausbildung, im Programmmanagement und im Publikum des Kulturbetriebs noch stärker widerspiegelt, in den Theatern, den Konzerthäusern und vor allen den Museen. Zielvereinbarungen und die Motivation zu einer Charta der freiwilligen Selbstverpflichtung für mehr cultural diversity im Kanon der künstlerischen und dramaturgischen Arbeit an den Kultureinrichtungen sehen wir als einen Weg hin zu mehr Beteiligung der in Berlin lebenden Künstler*innen und zur Erweiterung des Publikums.
Die Absenkung der Projektförderung für interkulturelle Projekte im Kulturhaushalt kritisieren wir Grüne seit Jahren. Zugleich unterstützen wir ausdrücklich die Förderung von Kultureinrichtungen, die sich dem Diversity-Ansatz verpflichten, wie das Ballhaus Naunynstraße, der Heimathafen und viele andere. Zudem ist unser Ziel, die kulturelle Bildung stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Das fängt in der Kita an und hört im Seniorenheim auf. Kultur definiert unsere pluralistische, tolerante, demokratische Gesellschaft. Sie verschafft Identität und Heimatgefühle. Das gilt für hier geborene wie für hierhergekommene Menschen.
Eine auf Partizipation basierende kulturelle Bildung ist ein gemeinsamer Lernprozess, der auf Bedürfnisse reagiert, Angebote bereitstellt, Raum für Kritik bietet und vorhandenes Potenzial fördert sowie eine regelmäßige Evaluation der gemeinsamen Arbeit garantiert.
Zur Gewährleistung kultureller Teilhabe setzen wir stark auf die öffentlichen Bibliotheken in Berlin. Wir werden daher die Bibliotheken für Menschen aller Generationen und mit jedem kulturellen Hintergrund ausbauen, in den Bezirken und bei der baulichen Neugestaltung der Zentral- und Landesbibliothek.
Eine ausführliche Positionierung zur Stärkung der Berliner Bibliotheken finden Sie unter:
www.gruene-fraktionberlin.de/sites/default/files/Fraktionsbeschluss%20Bibliotheken%20sta%CC%88rken.pdf
Wir bitten Sie auch unsere Antworten zu folgenden Wahlprüfsteinen zu beachten. Sie finden Sie auf unserer Homepage unter https://gruene.berlin/wahlpruefsteine-0
– Zeitgenössischer Tanz e.V., Tanzraum Berlin
– Landesvereinigung kulturelle Jugendbildung
https://gruene.berlin/sites/gruene.berlin/files/kulturellebildung_2016-07-21-wps.pdf
– Medianet
https://gruene.berlin/sites/gruene.berlin/files/media.net_2016-07-22-wps.pdf
– Bündnis zur Förderung der öffentlichen Berliner Musikschulen
https://gruene.berlin/sites/gruene.berlin/files/musikschulbuendnis_2016-06-22_wahlpruefsteine.pdf