Grundsatzpapier Kulturelle Bildung
Als im Kontext der Neugründung des Rates für die Künste im Laufe des Jahres 2005 die Arbeitsschwerpunkte neu positioniert wurden, waren sich alle Beteiligten darüber einig, dass die Lage der Kulturellen Bildung in Berlin so katastrophal sei, dass die Lage der Kunst in Berlin ernsthaft Schaden nehmen könnte und dass dieses Arbeitsfeld zu den neuen Schwerpunkten der Ratsarbeit gehören müsse.
Ein erstes Grundsatzpapier wurde am 24.11. 2005 von Dorothea Kolland vorgelegt und im Rat beschlossen, in dem es u.a. hieß: „Der Rat für die Künste und das Aufgabenfeld Kulturelle Bildung
1. Wenn der Rat für die Künste Kulturelle Bildung thematisiert und als Aufgabenfeld identifiziert, so tut er das nicht aus einer Gutmenschensicht heraus, sondern aufgrund der Erkenntnis, dass die Zukunft von Kunst und Kultur und ihrer Institutionen ohne interessierte und gebildete Produzenten und Rezipienten bald an ihr Ende kommen wird.
2. Der Rat für die Künste ist sich darüber im Klaren, dass Teilhabe an Kultur, ein Grundrecht aller Menschen, nur realisiert werden kann, wenn auch das Recht auf kulturelle Bildung realisiert wird. Voraussetzungslose Proklamation von Teilhabe bleibt ein Papiertiger.
3. Die Realität kultureller Bildung sowohl in qualitativer wie in quantitativer Hinsicht ist in Berlin sowohl im schulischen wie außerschulischen Bereich mehr als mangelhaft. Bildungs- und Kulturinstitutionen, die traditionell diesen Auftrag haben, sind seit Jahren von Kürzungen und Umorientierungen zu Lasten der kulturellen Bildung betroffen. (…)
11. Entwicklung und Innovation in der Kunst, Veränderungen der ästhetischen Produktion bedarf des Involvierens immer neuer Menschen und immer neuer Vorstellungen, die Wissen über und Interesse an Kunst mitbringen und entwickeln müssen: Ohne kulturelle Bildung keine innovative Kunstproduktion.
12. Kunst – ob innovativ oder bewahrend – benötigt ein Gegenüber, das in Sachen Kunst auch alphabetisiert ist. Dies ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Auf die Institutionen der Kunstproduktion kommt jedoch stärker die Aufgabe zu, ihre Position der ästhetischen Formulierung und das darin ausgedrückte Veränderungspotential zu vermitteln, eine Auseinandersetzung mit Innovation möglich zu machen. Die Vermittlung muss innerhalb der Institution stattfinden. Das heißt: Jede Kultureinrichtung muss ihr eigenes Education Programme haben (…)
13. Der Rat für die Künste bzw. die ihn tragenden Institutionen sind bereit, aktive Verantwortung mit zu übernehmen, um neue Wege kultureller Bildung in Berlin zu übernehmen. Als erste Schritte werden angeregt (…):
Der Rat für die Künste lädt alle Berliner Kunst- und Kulturinstitutionen ein, nicht auf Nachbesserungen des Senats zu warten, sondern selbst eine Offensive kulturelle Bildung in dem Bereich zu starten, wo am meisten zu erreichen ist: Im Bereich der Grundschulen. Konkret: Jede Berliner Grundschule, angefangen mit denen in sozialen Brennpunkten (Orientierungsrahmen ist der Sozialstrukturatlas Berlin) erhält eine Pateninstitution aus dem Spektrum der Berliner Kultur. Im Rahmen dieser Patenschaft entwickeln Paten und Patenkinder ein den jeweiligen Möglichkeiten entsprechendes Programm, das im Kontext der Schulprofilbildung als Zielvereinbarung festgeschrieben wird. Die Schulen sollen sich ihre Paten suchen dürfen. Die Paten erhalten keine zusätzlichen Mittel für diese Aufgabe.“
Aus dem Rat heraus entwickelte sich die AG Kulturelle Bildung mit Gästen, die Strukturen und Strategien für das neue Arbeitsfeld entwickelte, unter ihnen Amelie Adrienne Boros, Renate Breitig, Amelie Deuflhard, Dr. Dorothea Kolland, Elke Moltrecht, Annette Richter-Haschka, Dr.Angelika Tischer, Annette Wostrak und Kay Wuschek. Die Entwicklungsarbeit der AG Kulturelle Bildung wurde von Thomas Flierl, Senator für Kulturelle Angelegenheiten, mit Sympathie, mit Strukturüberlegungen (Stiftung? Förderprogramm? Fonds?) und mit etwas Geld unterstützt. Das Konzerthaus Berlin unterstützte mit Räumen. Das Projektbüro „Künste & Partner“ wurde gegründet, Barbara Meyer und Nils Steinkrauss übernahmen die Arbeit.
Mit dem Paukenschlag der Werkstatt-Konferenz „Offensive Kulturelle Bildung in Berlin“ am 28. und 29. September 2006 wurde das große Engagement und großer Sachverstand der Berliner Szene in Kultureinrichtungen, Schule, Jugendarbeit und bei Künstlern – anwesend waren ca. 150 Fachleute unterschiedlichster Provenienz – manifest, in open space- Runden und Plena wurde gemeinsam das „Berliner Modell“ erarbeitet, zu dessen Zentrum der Tandem-Gedanke der engen Kooperation von Kunst und Bildung wurde, von Künstlern und Pädagogen, von Kultureinrichtungen und Bildungsorten. In einer gemeinsamen Erklärung der Konferenzteilnehmer wurden die Strukturen formuliert, die bis heute, 2014, Realität des „Fonds Kulturelle Bildung“ ausmachen. Zu ihren Kernaussagen gehörte die Aufforderung, „zu erkennen, dass Kunst und Kreativität unerlässlicher Teil der Persönlichkeit ist, die als eigenständige Qualität der Entwicklung und Förderung bedarf. Künstlerische Arbeit erfolgt aus eigenem Recht und Willen. Auch Kunstprojekte im Bildungskontext müssen sich auf den Autonomiestatus der Kunst berufen können.“ Gefordert wurde eine Koordinierungsstelle, ein Förderungssystem, Verbindlich- und Verlässlichkeit, garantiert vom Parlament wie von den beiden Senatsverwaltungen für Kultur und Bildung / Jugend: ein unerhörtes Novum vor allem, weil sie zur Zusammenarbeit verpflichtet waren.
Einen besonderen Akzent setzte der Rat für die Künste mit seiner Patenschafts-Initiative: Zu einer länger währenden Kooperation verpflichteten sich Schulen und Kultureinrichtungen, um einen Dialog, der Kontinuität, Verlässlichkeit und Vertrautheit benötigt, möglich zu machen. Er entwickelte das Prinzip der »Patenschaften«, die weit über bisherige punktuelle künstlerische Projekte in den Schulen hinausreichen und gegen die systematische Verdrängung musischer Fächer aktiv werden sollten.
An der Strukturierung und Realisierung wirkte die AG Kulturelle Bildung des Rates für die Künste aktiv an führender Stelle mit.
Im April 2008 wurde durch das Abgeordnetenhaus von Berlin der Projektfonds als zentrales Instrument zur Realisierung von wegweisenden Projekten zur Kulturellen Bildung begründet. Der Fonds wurde mit 1,5 Millionen € ausgestattet. Das Berliner Modell setzt auch hier auf das Tandem-Prinzip, auf die Kooperation von mindestens zwei Partnerinnen und Partnern: je eine/n aus dem Bereich Kunst/Kultur und je eine/n aus den Bereichen Bildung oder Jugend. Konkret heißt das, es werden Vorhaben zwischen Künstlerinnen und Künstlern oder Kunsthäuser oder Kultureinrichtungen gemeinsam mit Schulen, Kitas, Kinder- oder Jugendfreizeiteinrichtungen oder Jugendkulturzentren konzipiert und umgesetzt.
Die Arbeit des Projektfonds, dessen Geschäftsstelle in der Kulturprojekte GmbH angesiedelt wurde, wird von einem Beirat begleitet, in dem der Rat für die Künste mit Sitz und Stimme vertreten ist.
Die AG Kulturelle Bildung ist seither mehr oder weniger kontinuierlich aktiv. Sie betreibt die Analyse von Programm-Schwachstellen wie „Kulturelle Bildung von Anfang an“, begleitet kritisch die Entwicklung neuer Initiativen wie die „Kulturagenten“ oder das Bundesprogramm „Kultur macht stark“, kümmert sich um die Verankerung von Projekten im Landeshaushalt wie das „Kinder-Künste-Zentrum“ oder „TUKI“, protestiert – meist erfolgreich – gegen konkrete Kürzungs- oder Schließungsbedrohungen wie bei „TUSCH“ oder bei „Atze“. Mitglieder des Rates sind in zentralen Arbeitsgruppen zur vom Abgeordnetenhaus gewünschten Fortschreibung des Rahmenkonzepts Kulturelle Bildung.
Mitglieder der Arbeitsgrüppe Kulturelle Bildung sind: