Fonds für kulturelle Vielfalt
November 2010
In Berlin leben Menschen mit vielfältigen Herkünften und Erfahrungshorizonten zusammen. Die Vielfalt der Berliner Bevölkerung bildet sich jedoch in den Kultureinrichtungen nicht ab: Die rund 863.000 BerlinerInnen mit Migrationshintergrund (Stand 2008) sind in den Kultureinrichtungen sowohl als BesucherInnen als auch als MitarbeiterInnen unterrepräsentiert. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf: Nur durch den produktiven Umgang mit kultureller Diversität, der Vielfalt als Chance und Ressource für alle begreift, wird es gelingen, das wachsende soziale Gefälle zwischen Arm und Reich zu überwinden.
Der Rat für die Künste setzt sich für ein verstärktes Engagement mit Diversität und interkultureller Öffnung ein. Die vorhandenen Instrumente der Berliner Kulturpolitik greifen jedoch nicht, wenn es darum geht, die interkulturelle Öffnung in den Institutionen zu verankern und die migrantischen Akteure als aktive Nutzer und Mitgestalter zu gewinnen. Daher fordert der Rat für die Künste die Senatskanzlei – kulturelle Angelegenheiten auf, einen Fonds für kulturelle Vielfalt zur Förderung von nachhaltigen, innovative Strategien zur Publikums- und Personalentwicklung zu schaffen.
Im Unterschied zum Fonds für interkulturelle Projektarbeit, der künstlerische Projekte von in Berlin lebenden Migrantinnen und Migranten fördert, stehen die BesucherInnen, MitarbeiterInnen und EntscheidungsträgerInnen der in Berlin tätigen Institutionen und Initiativen im Fokus des neuen Fonds: Es gilt, die Teilhabe zugewanderter Menschen am kulturellen Kapital Berlins zu verstärken, indem Zugangsschwellen abgebaut sowie Mitentscheidungs- und Partizipationsmöglichkeiten geschaffen werden.
Dabei plädiert der Rat für die Künste für das Modell der Tandemprojekte, das sich sowohl in der kulturellen Bildung als auch in der Integrationsarbeit bewährt hat. Dieser Ansatz fördert den Aufbau von Partnerschaften zwischen unterschiedlichen Akteuren mit klar definierten Zielen. Der Fonds für kulturelle Vielfalt soll projektspezifische Partnerschaften zwischen Kultureinrichtungen und Akteuren mit migrantischem Hintergrund ermöglichen mit dem Ziel, Zugangsmöglichkeiten zu Kulturangeboten zu verbessern und Menschen mit Migrationshintergrund als Besucher, Mitarbeiter und Gremienmitglieder anzusprechen, zu motivieren, zu qualifizieren und auch ihre Kenntnisse in die Arbeit einfließen zu lassen.
Das Prinzip Tandem – Partnerschaft auf Augenhöhe
Als Partner für Projekte des Fonds für kulturelle Vielfalt kommen in Berlin tätige Kulturund Bildungseinrichtungen, Vereine, Künstlerkollektive, Gruppierungen oder Initiativen in Frage, von denen mindestens ein Partner einen Migrationshintergrund mitbringt. Dabei soll die Zusammenarbeit von unterschiedlichen Institutionen ebenso ermöglicht werden wie das Zusammenwirken von Initiativen und Einzelakteuren.
Die gemeinsame Zielsetzung soll auf folgende Handlungsfelder gerichtet sein:
- den Abbau von Zugangsschwellen
- die Erweiterung der Angebote und Planungen im Sinne der Vielfalt und der kulturellen Teilhabe
- die Entwicklung von zielgruppenspezifischen Veranstaltungsformaten, Vermittlungsangeboten und Marketingkonzepten
- die verstärkte Einbindung von Künstlerinnen, Intellektuellen, Akteuren der Kreativwirtschaft mit Migrationshintergrund in kulturelle Planungen und Angebote
- die Vermittlung von Kulturtechniken, die zur Bedeutungsproduktion ermächtigen
- die Öffnung und Sensibilisierung der Kultureinrichtung
- die Qualifizierung von Nachwuchs und MitarbeiterInnen
Standort- und stadtteilbezogene Projekte sollen dabei bevorzugt gefördert werden. Damit wird zum einen bezweckt, etablierten Einrichtungen zu einer neuen gesellschaftlichen Verankerung in ihrer unmittelbaren Umgebung zu verhelfen, zum anderen aber auch mit Projekten die Stadtentwicklung in benachteiligten Arealen zu fördern, in denen soziale Brennpunkte und Kreativitäts-Hotspots oft geografisch zusammenfallen.
Besucherentwicklung: Relevanz und Partizipation
Zur Diversifizierung der Publika gilt es, Relevanz für die Nutzer herzustellten: Kulturangebote werden insbesondere dann wahrgenommen, wenn sie für das eigene Leben relevant sind. Dafür ist es ein bewährtes Mittel, gesellschaftliche Gruppierungen in die Planungsphase der Projekte einzubeziehen. So sollen Projekte gefördert werden, die mittels partizipativen Praktiken zur Teilhabe, Mitbeeinflussung und Aneignung von Kulturangeboten führen.
Von wesentlicher Bedeutung ist dabei der Abbau von Zugangsschwellen. Dazu gehören Projekte, die Mehrsprachigkeit in Institutionen fördern, Angebote, die zur Erschließung bestehender Institutionen einladen, die Ausbildung von Cicerones mit Migrationshintergrund, Angebote für Familien ebenso wie die Zusammenarbeit mit Trägern der außerschulischen kulturelle Kinder- und Jugendbildung. Um die Angebote entsprechend der Ziele zu entwickeln ist die Erarbeitung besonderer partizipativer Vermittlungsstrategien notwendig.
Auch die Förderung von multiperspektivischen Herangehensweisen an die Erinnerungskultur und das kulturelle Selbstverständnis trägt zur interkulturellen Öffnung bei. Daher sollen auch Projekte gefördert werden, die Kulturtechniken vermitteln und zur Bedeutungsproduktion ermächtigen, mit denen die Nutzer ihre Geschichte erzählen, ihre Interpretationen sichtbar machen.
Für all diese Ansätze ist es von wesentlicher Bedeutung und unerlässlich, KünstlerInnen, Intellektuelle und MeinungsführerInnen mit migrantischem Hintergrund in die Projektentwicklung einzubeziehen.
Personalentwicklung: Talente fördern
In den Arbeitsfeldern Kunst, Vermittlung, Verwaltung oder Technik sind MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund unterrepräsentiert. Zugleich wandern qualifizierte BerlinerInnen mit Migrationshintergrund oftmals mangels Arbeitschancen in andere Großstädte ab. Zur Herausbildung qualifizierter MitarbeiterInnen sollen durch den Fonds für kulturelle Vielfalt Nachwuchskräfte gefördert werden. Dafür werden gezielt Volontariatsstellen für Nachwuchskräfte mit migrantischem Hintergrund ausgeschrieben und finanziert, die im Rahmen von Mentoring-Projekten von erfolgreichen Akteuren des Kulturbereichs bzw. der Kreativwirtschaft als Mentoren betreut werden.
Des Weiteren soll der Einsatz von MitarbeiterInnen mit migrantischem Hintergrund in der Organisation und Durchführung der geförderten Projekte selbst mit einer Sonderförderung bedacht werden können, um die Antragsteller zur Neueinstellung zu motivieren. Auch die Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen zum Diversity Management für MitarbeiterInnen der Kultureinrichtungen soll unterstützt werden.
Vielfalt in den Gremien und Wirkung
Für den Erfolg des Fonds für kulturelle Vielfalt ist die Einbeziehung von Meinungsführern mit migrantischem Hintergrund in die zu gründende Jury von wesentlicher Bedeutung. Um eine gesamtstädtische und –gesellschaftliche Wirkung erzielen zu können, hält der Rat für die Künste Berlin zunächst ein Fondsvolumen von mindestens 1 Mio Euro im Jahr für erforderlich.
Chancen: „cultural citizenship“
Nur wer mit Chancengleichheit an den symbolischen Ressourcen der Gesellschaft teilhaben kann, versteht sich als „cultural citizen“ einer Stadt. Diese Erfahrung ist längst nicht für alle Einwohner Berlins eine Selbstverständlichkeit. Durch den Fonds für kulturelle Vielfalt könnte für die Kultur Berlins und die kulturellen Einrichtungen eine neue gesellschaftliche Verankerung, und für die Stadt Berlin die Chance entstehen, kreative Potenzialefür die gesamtgesellschaftliche Entwicklung freizusetzen.
Silvia Fehrmann / Brigitta Gabrin / Dorothea Kolland / Christian Römer / Martin Steffens
AG Diversity, Rat für die Künste
im Oktober 2010
Anmerkung:
Dieses vorliegende Papier für die Etablierung eines Fonds für kulturelle Vielfalt ist Teil des Positionspapiers Kultur Macht Berlin, das der Rat für die Künste z.Z. erarbeitet und das in Kürze als Diskussionspapier für die Wahlen im Jahr 2011 in Berlin vorgelegt werden wird. Angesichts des dringenden Diskussions- und Handlungsbedarfs wird es vorab veröffentlicht.